Krisen und Katastrophen: Was wir fürchten müssen, was wir hoffen dürfen
Es ist schon lange her: Greta Thunberg hatte mit ihrer energischen „How dare you“-Rede vor den Vereinten Nationen im September 2019 ordentlich Staub aufgewirbelt. Unter den vielen Reaktionen fand sich auch ein US-Geistlicher, der zu Donald Trumps Umfeld gehört, Robert Jefress: Er gab im Fernsehen zu Protokoll, Greta solle sich doch einen Regenbogen anschauen, wenn sie sich Sorgen wegen des Klimas macht. Das Wetterphänomen beweise schließlich, dass Gott die Katastrophe schon noch verhindern werde. Von Australiens damaligem Ministerpräsident Scott Morrison wird berichtet, er bete als Mitglied einer Pfingstkirche lieber für Regen als die menschlichen Ursachen der Klimakrise anzuerkennen.
Verdrehte Verheißungen
Da wird also mit Bibelsprüchen der Klimaschutz für überflüssig erklärt. Vor ein paar Jahren schrieb mir ein fundamentalistischer Christ, ich solle „wissen, dass Gott folgendes versprochen hat: Von nun an soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht, solange die Erde besteht! Da Gott versprochen hat, dass keine weltweite Flut mehr kommen soll und das die Jahreszeiten, die nach der Flut aktiviert wurden, bis zum Ende der Welt bleiben, brauchen wir uns durch so falsche Klimaapostel nicht aus dem Konzept bringen lassen, die durch ihre angeblichen Forschungsergebnisse Millionen verdienen.“
Was er nicht wusste oder erwähnte: Es könnte tatsächlich eine historische Verbindung zwischen Sintflut und Klimawandel geben. Als der Meeresspiegel nach der letzten Eiszeit wieder angestiegen war, durchbrachen die Wassermassen des Mittelmeers irgendwann die Barriere des Bosporus und ergossen sich ins heutige Schwarze Meer. Auf dessen Grund fand man Spuren eines früheren Küstenverlaufs. Gut möglich, dass manche Sintflut-Erzählungen der alten Welt auf so eine vorgeschichtliche Katastrophe zurückgehen: Schmelzende Gletscher, steigende Meere, versinkende Landstriche. Freilich damals ohne menschliche Verursacher, wohl aber mit menschlichen Opfern.
Die altorientalischen Erzähler konnten verschiedene Götter für das Hereinbrechen der Katastrophe und die Rettung der Menschheit verantwortlich machen. Die einen wollen die Menschen vernichten, die anderen bewahren sie vor dem Ertrinken. Israel hatte nur einen Gott zur Verfügung, der nun erst einmal beide Rollen spielen muss – den Zornigen und den Mitfühlenden. Aber das anfangs ambivalente Gottesbild klärt sich im Verlauf der Erzählung: Am Ende nämlich gibt Gott seinen Geschöpfen das feierliche Versprechen, ihnen nicht mehr mit Vernichtung zu drohen, selbst wenn – da ist Gott am Ende dieser Episode ganz illusionslos – die Menschheit deswegen noch lange nicht damit aufhört, sich selbst zu gefährden und auf Kosten ihrer Umwelt zu leben: „Ich habe meinen Bund mit euch geschlossen: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben“ (Genesis 9,11). Die Liebe zu seinen Geschöpfen – Menschen und Tieren, das ist ja wichtig angesichts des sechsten Artensterbens im Anthropozän (beziehungsweise im Kapitalozän) – behält die Oberhand.
Ignoranz und ihre Folgen
Überhaupt nicht am Horizont der alten Welt erschien jedoch die Möglichkeit, dass Menschen die Zyklen des Klimas und der Jahreszeiten aus dem Takt bringen und sich selbst so massiv gefährden könnten, wie wir das gerade tun. Folglich spielt das auch in Gottes Zusage, dass Saat und Ernte, Frost und Hitze nicht aufhören, keine Rolle. Aber genau das geschieht ja im Augenblick. Es wäre allerdings fatal, diesen Satz aus seinem Kontext der Fürsorge des Gottes, der das Leben und die Geschöpfe liebt, zu lösen. Damit würden wir menschliches Versagen bei der Fürsorge für Mitmenschen und Mitgeschöpfe verharmlosen und für dessen drohende, inzwischen allenthalben spür- und nachweisbaren Wirkungen auf eine wundersame Lösung spekulieren. Doch weder ein übernatürliches Eingreifen noch eine erst noch zu erfindende Wundermaschine werden uns den Gefallen tun. Wenn wir also eine Lehre aus der Sintfluterzählung ziehen, dann die: Es geht Gott um Fürsorge und Mitgefühl, nicht um Ausbeutung und Unterwerfung.
Wie trügerisch religiöse Ignoranz sein konnte, hatte Israel im babylonischen Exil erlebt. Zuvor hatte es Stimmen in Jerusalem gegeben, die dem König nach dem Mund und dem Volk einredeten, die Stadt Gottes sei uneinnehmbar. Aber die falschen Propheten irrten. So wie diejenigen, die uns heute weismachen wollen, wir könnten unbekümmert fossile Energieträger verfeuern, ohne Tempolimit durch Land und Lüfte düsen, den Regenwald abfackeln und so weiter. Diese Analogie sollte uns beschäftigen: Damals gab es ein „zu spät“. Jeremia wusste das und sprach darüber. Christen vom Schlag eines Robert Jefress hingegen erweisen sich als falsche Propheten, wenn sie Politiker wie Donald Trump, Scott Morrison und Jair Bolsonaro stützen. Die führen trotz aller zur Schau gestellten Frömmigkeit einen Krieg gegen das Klima und die Armen im Interesse der milliardenschweren Kohle- und Ölindustrie.
Am Rande dieses urzeitlichen Dramas tauchen übrigens kurz auch die „Gottessöhne“ auf, vermutlich das deutlich entmachtete Personal der Religionen des Altertums. Israel hatte gehört, dass sie sich angeblich gern Affären mit attraktiven Menschenfrauen leisteten. Es ist sicher kein Zufall, dass hier nur Gottessöhne erwähnt werden – auch das ist eine Facette des Patriarchats: Menschen werden benutzt. Die Gottessöhne benehmen sich wie menschliche Despoten, sie legen sich einen Harem zu und brüsten sich mit ihrer Überlegenheit. Gottes Gericht über die Welt lässt sich auch als Widerspruch gegen Ausbeutung und Gewalt lesen – in der Abneigung gegen diese Art der Machtausübung bleibt Gott sich ebenso treu wie in der Zuneigung zu seinen Geschöpfen.
Freilich sind die antiken Götter nicht nur überlebensgroße Spiegelbilder menschlicher Widersprüche und Leidenschaften, sondern sie galten auch als Ordnungsmächte in den elementaren Teilbereichen der immanenten Wirklichkeit: Liebe, Sexualität und Fruchtbarkeit etwa, Feuer und Meer, Krieg und Weisheit, Sonne und Mond und vieles andere. Heute würden wir von Subsystemen sprechen, aus denen unsere geschaffene Welt besteht, einschließlich der von uns selbst erschaffenen Ordnungen und Systeme wie Kultur, Wirtschaft, Militär oder Justiz.
Nicht der eine Schöpfergott, wohl aber diese gewordenen Zwischenmächte sind also ebenso „gefallen“ und auf Selbstzerstörung aus wie Adams Nachfahren. Ironischerweise resultiert diese Zerstörung aus dem tief sitzenden Trieb, das eigene Überleben um jeden Preis zu sichern. Menschen geraten in ihren Sog und verlieren – mal mehr, mal weniger freiwillig – einen großen Teil ihrer Selbstbestimmung. Sie geraten in Abhängigkeiten, schätzen die Folgen ihres Handelns falsch ein oder sie halten manche Entwicklungen wie die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen oder den Aufstieg autoritärer Machthaber für gottgewollt und damit „alternativlos“.
Zwischen Angst und Größenwahn
Der Hang menschlicher Zivilisationen zu totalitärem Größenwahn (wie ihn die Männer, die die Welt verbrennen, verkörpern) ist auch das Thema der Geschichte vom Turmbau zu Babel, mit dem die biblische Urgeschichte endet. Die Menschen leben in der Weite einer großen Ebene und haben Angst, sich darin zu verlieren. Ihre Angst vor der Bedeutungslosigkeit kompensieren sie durch einen Monumentalbau, der bis an den Himmel reichen soll:
Als sie von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an. Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel.
Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. (Genesis 11,2-4)
Und in der Tat nahmen die Imperien in Israels Nachbarschaft alle möglichen gigantischen Bauprojekte in Angriff: Zu Zeit des Exodus ließ Pharao Ramses II riesige Speicherstädte bauen und im babylonischen Exil (der Zeit also, in der wesentliche Teile der Urgeschichte aufgeschrieben wurden) hatten die deportierten Juden die mächtigen Bauten Babylons vor Augen. Fremde Völker wurden unterworfen, zu Frondiensten herangezogen und am Ende vollständig assimiliert. Dieser Bedrohung sah man sich ganz akut ausgesetzt.
Für den Theologen Richard Horsley dreht sich den antiken Weltreichen alles um Macht. Sie bildeten ein Netzwerk miteinander verflochtener Mächte, die einen mehr politischer, andere mehr wirtschaftlicher oder religiöser Natur, aber diese drei Aspekte ließen sich nie ganz trennen. Diese Mächte waren übermenschlich, aber nicht „übernatürlich“ oder „jenseitig“, wie modernes Denken gern unterstellt, um sie dann umgehend ins Reich der Fabel und Fantasie zu verweisen. In den Hochkulturen im Zweistromland entstanden die ersten größeren Städte, deren Bewohner ein Bewässerungssystem anlegten. Die landwirtschaftlichen Erträge kamen den Bürgern, vor allem aber den „Großen“ und dem Militär zugute. Arbeit musste organisiert werden, daraus entstanden Verwaltungen und Hierarchien, und damit eine Machtpyramide, an deren Spitze die „Großen“ standen: Könige, Priester, Manager. Die großen Bauwerke (Mauern, Tempel) kurbelten den Handel mit und Transport von Baumaterial und Wertstoffen an.
Ungleichheit und ihre Ursachen
Die menschlichen Repräsentanten der Stadt, ihrer Ordnung (und damit auch der Götter) genießen zunehmend Privilegien. Die eigentliche Wirtschaftsleistung kommt aus der Landwirtschaft, aber Menschen sahen sich als die Diener und Sklaven der Mächte an. Schriftkundige erstellten Inventarlisten und Urkunden, Sternkundige berechneten die Zeitpunkte für Saat und Ernte sowie die religiösen Feste. Diese altorientalischen Reiche sind also Systeme, in denen sich aus der Arbeitskraft der Menschen und deren Ertrag durch das Opfer an die Mächte/Götter in einem Ritus, der von den Eliten kontrolliert wurde, die Herrschaft der „Großen“ über das Volk entwickelte und festigte. Die Furcht vor Unwetter, Krieg und Missernte zwang die Menschen in dieses System, das ihr Überleben zu garantieren versprach. In diesen Zusammenhang gehören auch die Menschenopfer, die in verschiedenen Kulturen ebenfalls in dem Moment auftraten, als sich größere Reiche und Herrschaftsgebiete mit einer hierarchisch gegliederten Gesellschaftsform entwickelten, die die Ungleichheit zwischen Menschen betonte und förderte. Sie dienten nicht nur religiösen Zwecken, sondern gaben den Oberen auch die Möglichkeit, ihre Macht über Leben und Tod zu demonstrieren.
Übergriffiges Über-Ich
Die Geschichte vom Turmbau bringt, so verstanden, Gott als den Retter vor der imperialen Einheitszivilisation ins Spiel, die Macht um ihrer selbst willen konzentriert, Größe um der Größe willen anstrebt und dazu alle gewachsenen Unterschiede auslöscht. Bis heute werden ganze Volksstämme für einen Staudamm zwangsumgesiedelt. Nomaden wie die Roma in Europa oder Beduinen im nahen Osten werden in Wohnsilos gezwängt und zur Assimilierung gedrängt. Ganze Kontinente wurden kolonisiert und entwurzelte Sklaven um die halbe Welt transportiert, um den Reichtum und die Macht der Kolonialherren zu mehren und ihren „Namen“ groß zu machen: „Ein gemeinsamer Name schafft ein Über-Ich, dem man sich beugen und unterwerfen kann, bis hin zu einer Normierung der Sprache in Militärherrschaften“, schreibt der Bibelwissenschaftler Horst Seebaß. Dieses Über-Ich hat sich im Nationalsozialismus und anderen totalitären Systemen wieder gezeigt. Heute ist es das identitäre Gedankengut der neuen Rechten, mit denen sich verunsicherte Menschen einen identitätsstiftenden „Namen“ machen wollen. Kein Wunder, dass Hass und Morddrohungen gegen Menschenrechtler und Umweltaktivisten nirgends so verbreitet sind wie in diesem Teil des politischen Spektrums von rechtsextremen Parteien bis hin zu (mal mehr, mal weniger militanten) Autofanatikern, die Tempo 200 auf der Autobahn für den Inbegriff von Freiheit halten und Verbrennermotoren für den größten Schatz unserer Kultur. Jeder Hinweis auf das Leid und die Bedürftigkeit der Mitmenschen und Mitgeschöpfe, die den Preis für unsere Lebensweise bezahlen, erscheint in diesem Weltbild als Verrat an den Grundwerten.
Der Glaube an den Gott, der Sklaven befreit, macht es also möglich, einen anderen Blick auf die Welt zu werfen: Auf das Grundverhältnis von Koexistenz, Kooperation und Kommunikation zwischen den Geschöpfen; es ist, das legen die biblischen Schriften nahe, im Wesen Gottes selbst begründet. Und auf Gottes Protest gegen jede Form der Ausbeutung und Gewalt gegen Mensch und Natur. Wir befinden uns heute an einem Punkt, der damals schlicht nicht vorstellbar war: Die Menschheit ist dabei, ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören, nämlich die Konstanten des globalen Klimas und mit ihnen einen großen Teil aller Lebewesen – von der Biene bis zum Eisbären, vom Alpengletscher bis zum Korallenriff.
Wir sind heute wieder an einem Punkt, wo ein destruktives Weltbild in Sackgassen führt und ausgetauscht werden muss: Die Erde als Rohstofflager, die Welt als Maschine, gutes Leben als grenzenloser Konsum, die Überlegenheit des „Abendlandes“, der ethnisch homogene Nationalstaat als anzustrebendes Ideal und vieles mehr. Keine dieser Vorstellungen lässt sich bei näherem Hinsehen als Gottes Wille verkaufen. Die Hoffnung liegt für uns darin, Gott auf der Seite des Protestes zu finden und, so wie das alte Israel, ein radikal neues Weltbild zu entwerfen, mit dem sich die Probleme lösen lassen, die uns das alte Weltbild beschert hat.
(Beitragsbild: Foto von Museums Victoria auf Unsplash)